Revue, Luxembourg

Tanz mit dem Tod

von Gabrielle Seil, Photos: Philippe Reuter

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Sie hat sorgfältig recherchiert. Auch über den Ort ihrer Ausstellung. Einerseits ist der Kreuzgang der Abtei Neumünster eine Grabstätte und daher unmittelbar mit dem Tod verbunden. Andererseits bringt die Kultur, die dort vermittelt wird, eine neue Lebendigkeit mit sich. Der Künstlerin gefällt diese Doppeldeutigkeit. Auch sie spielt in ihrer Kunst gern mit Gegensätzen. Vor allem mit Schatten und Licht. Das Eldorado, nach dem der Reiter in Edgar Allan Poes Gedicht sucht, kommt in ihren Bildern durch das Benutzen von falschem Blattgold zum Ausdruck. Der Schatten, der den Suchenden stets begleitet und der ihm am Ende seines Lebens den Weg durch das Totenreich weist, taucht als schwarze Fläche rund um die Figuren auf.

Anderthalb Jahre hat die Luxemburger Künstlerin an der Serie und an dem Künstlerbuch gearbeitet, in dem alle 24 Bilder als Drucke abgebildet sind. Das Resultat ist beeindruckend. Auf den ersten Blick in seiner Wirkung, auf den zweiten und dritten umso mehr noch. Man sollte sich Zeit nehmen, um jeden einzelnen modernen Totentanz genau zu betrachten und anhand der vielen Anspielungen herauszufinden, welchen Missstand Désirée Wickler anprangert. Bei der einzigen motorisierten Installation der Ausstellung – ein Skelett, das auf einer alten Wehrmachtskiste sitzt und onaniert – ist die Message, sind die Botschaften unmissverständlich: Kriege sind männlich assoziiert. Im Krieg kann nur der Tod gewinnen. Und daher kann sich der Tod nur lustig machen über die Menschen, die scheinbar nichts dazulernen. Dazu kommt, dass die Geste der Selbstbefriedigung auf die Tatsache hinweist, dass die Vergewaltigung von Frauen bis heute eine Kriegswaffe ist.

Andere gesellschaftliche Gefahren werden weniger provokant dargestellt, sind indes genauso problematisch. „Follower“ bezieht sich beispielsweise auf den Selbstoptimierungswahn auf Facebook und Instagram, „Superstar“ auf das Streben, bei einer Talentshow auf der Bühne zu stehen und gefeiert zu werden. Kreuzfahrten und exzessiver Fleischkonsum, die Digitalisierung und das Jederzeit-Erreichbarsein sind weitere Themen, mit denen sich die Künstlerin kritisch auseinandersetzt. Und irgendwann hat man den Eindruck, dass in der Gegenwart, in der wir gerade leben, vieles im Argen liegt. Dass die Zukunft ungewiss bleibt, materieller Wohlstand nicht vor Ängsten schützt, individuelle Freiheit trügerisch und Solidarität ein Fremdwort ist.

Die Ausstellung „Eldorado“ hält dem Betrachter einen Spiegel vor, in dem er sich nur ungern wiedererkennt.

Désirée Wickler hat einen anderen Anspruch. In „Eldorado“ verbindet sie den vor allem dem Mittelalter zugeordneten Totentanz mit einer Art Protest. Ob man sich diesem Protest anschließen will, ist eine andere Sache. Wichtig ist der Künstlerin vielmehr, dass man begreift, dass manche Krisen nur im gesellschaftlichen Kollektiv zu lösen sind. Sie prangert keine individuellen Lebensweisen an, sondern das kapitalistische System mit seinen Auswüchsen. Und so würde es vermutlich gefallen, dass man sich nach dem Besuch der Ausstellung fragt, in welchem Ausmaß irgendwelche Erwartungen oder Klischees das eigene Leben bestimmen und ob man sich nicht lieber dagegen wehren wollte, bevor es irgendwann zu spät ist. In Science Fiction-Filmen kann man dem Tod mitunter ein Schnäppchen schlagen. Im realen Leben nicht. Aber daran wollen die meisten wohl nicht erinnert werden. Die Welt ist schön und bunt und soll es bleiben. Die Bilderwelt von Désirée Wickler ist dies auch. Auf ihre Weise jedenfalls.

 

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